Fachkräftemangel Steuerberater: Recruiting-Prozesse der Zukunft
Von Ralf Haase, Future Leadership & Organisationsdesign
Steuerberatungskanzleien haben einen „Luxus“: Keinen Marktdruck von der Mandantenseite aus. Das kann als Bremsklotz wirken – Antreiber für Veränderung in der Branche ist das relativ neue Phänomen des sogenannten Fachkräftemangels. Dieser wird von den meisten Kanzleien zwar beklagt, aber nicht aktiv angegangen. Der Glaubenssatz: Fachkräftemangel ist etwas, das Staat und Gesellschaft lösen müssten. Doch auch in Steuerberatungskanzleien steht ein massiver Wandel im Arbeitsumfeld an, beispielsweise aufgrund von Digitalisierung und Dezentralisierung, Remote Work oder hybrider Arbeitsplätze – und damit geht eine Umgestaltung der Kultur einher. Nicht mehr Effizienz ist der Gradmesser für Erfolg, sondern Innovationsfähigkeit und hohe Adaptivität. Ohne kulturell und emotional verbundene Mitarbeiter ist das nicht zu bewältigen.
Diese Höchstleister der Zukunft haben zentrale Ansprüche: Empowerment der Mitarbeiter sowie ein sinnvolles und erfüllendes Berufsleben. Unternehmen müssen eine Kultur fördern, die Flexibilität, Offenheit, kontinuierliches Lernen und Entwicklungsmöglichkeiten betont. Denn gute Fachkräfte brauchen nicht mehr zu bangen, einen Job zu bekommen, die Unternehmen müssen vielmehr hoffen, die gewünschten Mitarbeiter in ihre Reihen ziehen zu können. Gut ausgebildete, kreative, zielstrebige, fleißige und zuverlässige Mitarbeitende sind essenziell für den Erfolg. Doch Kanzleiinhaber haben selten ein professionelles HR und Recruiting. Die Fachkräfte bewerben sich aber in der Regel nicht von allein, sie müssen gefunden werden. Das Unternehmen bewirbt sich bei den Talenten. Eine begehrte Fachkraft wird im „war for talents“ das Unternehmen wählen, das die besten beruflichen Aussichten bietet. Die Aufgabe für Personalverantwortliche ist deshalb ein aktives Employer Branding.
Fachkräfte finden: Der moderne Recruitingprozess
Viele Kanzleien beklagen, dass es kaum geeignete Mitarbeitende gäbe. Doch meistens liegt der Grund für eine geringe Resonanz in der minderwertigen Qualität von Stellenausschreibungen. Und: High-Potentials haben in der Regel Jobs und schauen nicht aktiv nach Jobanzeigen – obwohl durchaus eine Wechselwilligkeit besteht. Sie müssen also motiviert werden und hier ist die althergebrachte Vorgehensweise mit Anforderungsprofil, Stellenanzeige und das Warten auf Bewerbungen zu wenig. Das „Post & Pray“ ist völlig ineffektiv und schon lange nicht mehr zeitgemäß. Veraltete HR-Methoden sind zu wenig kreativ und vernachlässigen die Personal Brand gegenüber der Commercial Brand. Die mangelnde Fokussierung auf die Arbeitgebermarke verhindert, dass Unternehmen sich als attraktive Arbeitgeber positionieren.
In der digital dominierten Welt von heute ist eine starke Online-Präsenz entscheidend, um Talente anzuziehen, die auch kulturell zum Unternehmen passen. Nicht nur die Kommunikationswege haben sich drastisch verändert, auch die Möglichkeiten der Arbeitnehmer, in den Organismus der Unternehmen hineinzuschauen, sind schier unbegrenzt. Unternehmen, die signalisieren, dass sie aktiv sinnlose Beschäftigung reduzieren und einen Fokus auf sinnstiftende, erfüllende Arbeit legen, sind auf dem Jobmarkt attraktiver. Durch die Förderung von Kreativität und Eigeninitiative sowie durch Offenheit für Ideen können Unternehmen zudem schneller auf Veränderungen im Markt reagieren und innovative Lösungen entwickeln. Dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, was sie wiederum für Fachkräfte anziehender macht, die nach dynamischen und zukunftsorientierten Arbeitsumgebungen suchen.
Die Fachkräfte-Gewinnungsstrategie
Die Recruiter-Brand fungiert als Schnittstelle zwischen der Unternehmensmarke und den individuellen Bewerbern. Sie reflektiert die Werte und die Kultur des Unternehmens, personalisiert jedoch den Recruiting-Prozess, indem sie die menschliche Komponente in den Vordergrund stellt. Das führt zu einer effektiveren Ansprache und Bindung von Talenten. Ein starker Auftritt der Recruiter kann dabei helfen, das Unternehmen von Wettbewerbern abzuheben, die Bindung zu Talenten zu stärken und eine positive Candidate Experience zu gewährleisten.
- Personalisierung des Recruiting-Prozesses: Recruiter stellen ihre Persönlichkeit, Werte und den individuellen Ansatz in den Vordergrund.
- Einsatz von Mitarbeiter-Advocates: Mitarbeiter fungieren als Botschafter der Unternehmenskultur und -werte, sie vermitteln Geschichten und Erfahrungen.
- Aufbau und Pflege einer Recruiter-Brand: Recruiter werden als kompetente, empathische und vertrauenswürdige Ansprechpartner positioniert, die Karriereziele der Kandidaten ernst nehmen.
- Stärkung der sozialen Präsenz und Interaktion: Regelmäßige Beiträge in sozialen Netzwerken ermöglichen Einblicke in die Unternehmenskultur und in Erfolge von Teams.
- Authentizität und Transparenz: Essenziell ist eine offene Darstellung der Herausforderungen sowie die Vermittlung einer realistischen Vorstellung von der Tätigkeit und den Erwartungen.
- Nutzen des Narrativs: Die Arbeitgebermarke sollte über authentische Botschaften über alle Kanäle hinweg in verschiedenen Formaten – Videos, Blogs, Podcasts – vermittelt werden.
Wenn man den Fachkräftemarkt als das ansieht, was der Name schon suggeriert: Ein Markt – und diesen mit dem Kundenmarkt vergleicht –, dann fällt auf, dass die meisten Unternehmen noch nicht verstanden haben, dass beide absolut die gleiche Aufmerksamkeit verdienen. Aktuell und zukünftig erscheint es ja sogar so, dass die Gewinnung von Mitarbeitern der stärkere Fokus sein sollte. Unternehmen müssen ihre Strategien und Praktiken im Personalwesen grundlegend überdenken und anpassen, um zukunftsfähig zu bleiben.
Fachkräfte: Recruiting-Systematik nutzen
Der effektive Einsatz von Technologien, insbesondere KI, zur Optimierung von Rekrutierungsprozessen, ohne den menschlichen Aspekt zu vernachlässigen, stellt eine Herausforderung dar. Menschen reagieren emotional viel stärker auf andere Menschen, aber Unternehmen müssen Technologien nutzen, um die Prozesseffizienz zu steigern. Online-Jobbörsen und Karriereportale eroberten den Markt und Unternehmen investierten große Summen in eigene Karriere-Websites. Einige Erhebungen gehen davon aus, dass heute etwa ein Drittel aller Stellen über das Internet vermittelt werden, wenn man im richtigen Portal inseriert. Einige Firmen haben zusätzlich die sozialen Netzwerke, wie LinkedIn, Xing und Facebook für sich erschlossen. Für Personalverantwortliche gibt es zukünftig neue Herausforderungen an das Human Ressources Management. Der „War for Talents“ erfordert ein effektives Multichannel-Recruiting, ein Zusammenspiel von Direct Search – der direkten Ansprache potenzieller Kandidaten durch den Recruiter und Active Sourcing – der Suche und Kontaktierung von Profilinhabern bei den sozialen Medien, Content Marketing und Networking.
Wichtig ist, Recruiting als eine kontinuierliche, strategische Aufgabe zu begreifen und nicht nur zu initiieren, wenn akut eine Stelle zu besetzen ist. Um eine gut funktionierende Recruiting-Systematik aufzubauen, braucht es mindestens 6 bis 12 Monate Zeit.
- Strategische Bedarfsanalyse: Regelmäßige Überprüfung des aktuellen und zukünftigen Personalbedarfs in Abstimmung mit der Unternehmensstrategie, um proaktiv agieren zu können.
- Aufbau einer Talent-Pipeline: Entwicklung und Pflege eines Talentpools, um auch für zukünftige Bedarfe qualifizierte Kandidaten zur Verfügung zu haben.
- Kontinuierliches Employer Branding: Aufbau und Pflege einer starken Arbeitgebermarke, um kontinuierlich als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.
- Authentische Kommunikation: Einsatz authentischer Narrative und Geschichten aus dem Unternehmen, um die Unternehmenskultur und -werte zu vermitteln.
- Effizienzsteigerung: Kontinuierliche Überprüfung und Optimierung der Recruiting-Prozesse, um die Effizienz zu steigern und die Candidate Experience zu verbessern.
- Nutzung von Technologien: Einsatz moderner Recruiting-Technologien und -Tools, um die Reichweite zu erhöhen und den Rekrutierungsprozess zu optimieren.
- Mitarbeiter als Botschafter: Aktivierung der aktuellen Mitarbeiter als Markenbotschafter, um das Netzwerk und die Reichweite im Recruiting zu erweitern.
- Empfehlungsprogramme: Einführung von Mitarbeiterempfehlungsprogrammen, die bestehende Mitarbeiter ermutigen, qualifizierte Kandidaten zu empfehlen.
- Erfolgsmessung: Einsatz von KPIs und regelmäßiges Monitoring der Recruiting-Aktivitäten, um den Erfolg zu messen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.
- Feedback und Anpassung: Einholung von Feedback von Kandidaten und Mitarbeitern zum Recruiting-Prozess und Anpassung der Strategien basierend auf den Rückmeldungen.
- Community-Aufbau: Entwicklung von Beziehungen zu potenziellen Kandidaten durch aktives Community-Management, z.B. Fachveranstaltungen oder Social Media.
- Partnerschaften: Kooperation mit Bildungseinrichtungen, Branchenverbänden und anderen Organisationen, um Zugang zu Talenten zu erhalten und die Sichtbarkeit zu erhöhen.
Der Personalbereich wandelt sich zu einem marketingorientierten Berufsbild, in dem sich Personaler als Verkäufer ihrer Vakanzen verstehen, über exakte Zielgruppenkenntnis verfügen sowie Bewerbermanagementsysteme, Internet und Social Media beherrschen müssen.
Steuerberatung: Fachkräfte binden
Nicht nur die Fähigkeit, qualitativ hochwertige Kandidaten zu gewinnen, sondern sie langfristig an das Unternehmen zu binden, ist von entscheidender Bedeutung. Die begehrte Fachkraft muss engagiert eingearbeitet, gecoacht, aktiviert, trainiert und für die Aufgabe optimal befähigt werden. Hier braucht es einen individuellen Einarbeitungsplan und Kapazitäten bestehender Mitarbeiter, die den Einarbeitungs-Job übernehmen. Mit viel Engagement, Aufmerksamkeit und Kommunikation kann verhindert werden, dass die aufwändig akquirierten Fachkräfte quasi in den ersten Wochen bereits wieder „innerlich“ kündigen, weil sie sich den neuen Job eigentlich ganz anders vorgestellt hatten. Neue Talente müssen entwickelt werden, um zu Spitzenkönnern zu werden. Einfaches Kontrollieren reicht nicht und sollte im Übrigen vermieden werden. Es ist viel wichtiger, das echte Potenzial der gewonnenen Fachkraft zu fördern und abzurufen. Und last, but not least: Führungsaufgabe ist es, aus einer Gruppe von einzelnen Könnern ein Performance-Team zu entwickeln.
Steuerberatung der Zukunft: Trends der Personalbeschaffung
- Multi-Channel-Recruiting wird auch die Zukunft der Personalgewinnung prägen. Zwar ist der menschliche Kontakt wichtig, aber die Hilfsmittel werden sich mehr und mehr digital, mobil und in der Cloud abspielen.
- Matching-Plattformen als „Tinder des Recruitings“ bringen Jobsuchende und Personalverantwortliche zusammen. Die „Tinderisation“ kennzeichnet das bequeme Swipen durch Jobangebote oder Kandidaten.
- Social Media Kampagnen im Personalmarketing machen sich HuffPostisierung, Amazonisierung oder Zalandoisierung zu Nutze, die individuelle Content-Aussteuerung auf Internetseiten. Für den Jobsucher werden Jobangebote nach dessen Vorlieben und Bedürfnissen gefiltert.
- Karriereseiten wandeln sich zu Storytelling-Portalen. Um das eigene Unternehmen bestmöglich „von innen“ erlebbar zu machen, wird informativer und auch unterhaltender Content bereitgestellt.
- Gamification ist ein weiterer Trend in der Personalbeschaffung. Spieltypische Elemente im Recruitingprozesse fordern Kompetenzen der Bewerber heraus und liefern eine Einschätzung des Engagements oder der Fähigkeiten.
- Mitarbeiter-Empfehlungen sind als „menschlicher Algorithmus“ ein anderer Weg des Matchings. Die eigenen Mitarbeiter haben ein gutes Gespür für zukünftige Kollegen.
Literatur-Tipp
Haase
Neue Arbeitswelt in der Steuerberatung
Neue Arbeitswelt in der Steuerberatung
Wie Kanzleien mit New Work erfolgreich in die Zukunft gehen