Führen in unsicheren Zeiten

Beitrag von Dr. Dieter Lederer

 

Die Welt scheint aus den Fugen geraten, und viele, bei denen Menschen Sicherheit suchen, werden den in sie gesetzten Hoffnungen nicht gerecht. Doch nicht nur Politiker und gesellschaftliche Instanzen sind davon betroffen. Auch Führungskräften gelingt es oft nicht mehr, die dringend nötige Orientierung und Zuversicht zu vermitteln.

Wundern muss das allerdings nicht, weil auch Führungskräfte nicht immun gegen die Sorgen sind, die die Welt gerade aufkommen lässt. Dass Angst ein schlechter Ratgeber ist, mag ihnen zwar rational klar sein. Doch diese Einsicht genügt nicht, um sich von ihren eigenen Befürchtungen freizumachen und anderen die Stabilität zu bieten, die diese von ihnen wünschen.

Wegdiskutieren lassen sich die Wirkungen der gegenwärtigen Krisen schließlich nicht. Das Coronavirus mit seinem dramatischen Einfluss auf die Wirtschaft ist noch hochaktiv, und schon löst der Ukraine-Krieg steigende Inflationsraten und Energieengpässe aus, die viele Unternehmen vor schwer zu bewältigende Probleme stellen. Und dennoch: Obwohl die Motivation und der Optimismus in der Führung hart auf die Probe gestellt sind, muss ein Weg gefunden werden, der Unberechenbarkeit der Umstände als Führungspersönlichkeit entgegenzutreten. Die persönliche wie professionelle Herausforderung dabei lautet, trotz eigener Unsicherheit oder sogar Ohnmachtsgefühlen Mitarbeitern die Sicherheit zu geben, die sie auch in sorgenvollen Zeiten fokussiert und leistungsfähig sein lässt.     

 

Akzeptanz der eigenen Grenzen

Der entscheidende Punkt dabei besteht darin, Orientierung und Halt zu vermitteln, während man sich der eigenen Grenzen in den Umständen bewusst ist. Schwierig daran ist, dass die Grenzerfahrung belastender Situationen Menschen häufig weniger überlegt und selbstbestimmt agieren lässt und oft unwillkürliche Muster zutage treten, die der eigenen Leistung und damit dem Unternehmen eher schaden als nutzen. Das kann sich in vermiedenen Entscheidungen äußern, wenn Dinge dringend getan werden müssen, in hektischem Umsteuern, wenn ein kühler Kopf nottäte, und in dünnhäutiger Kommunikation, wenn Souveränität gefragt ist. Dass Angst zudem leicht zu Erstarrung und Untätigkeit statt beherzter Aktion führt, ist ein weiteres gravierendes Phänomen unter einigen anderen mehr.   

Spüren die Mitarbeiter dies mit ihren alarmierten Sorgenantennen bei ihren Führungskräften, werden die eigenen Befürchtungen verstärkt. Und das ist fatal, weil die Beherrschbarkeit kritischer Umstände die Vermittlung von Klarheit und Sicherheit verlangt, auch wenn man selbst verunsichert ist. Nur wer dieses scheinbare Paradox meistert und seine Grenzen akzeptiert, statt vom Selbstzweifel hypnotisiert zu werden, gewinnt seine Führungswirksamkeit zurück.

 

Führungswirksamkeit zurückgewinnen

Wie aber soll das in einer Krise gelingen, wenn die Arbeit auch ohne diese vielfach als übermäßig belastend empfunden wird? Beginnen Sie damit, in sich hineinzuhören und Ihre Gefühle wahrzunehmen:

  • Empfinden Sie sich möglicherweise als machtlos, weil Ihre erprobten Instrumente zur Krisenbewältigung nutzlos scheinen?
  • Wie geht es Ihnen damit, ratlos zu sein und nach Antworten zu suchen, von denen Sie nicht wissen, wo sie sind?
  • Was macht es mit Ihnen, nicht die gewohnte Kontrolle zu haben, obwohl das Ideal von Ihnen Tatkraft mit klarer Kante verlangt?

Solche und ähnliche Gefühle sind in einer Krisensituation sehr zulässig, auch wenn traditionelle Vorstellungen von Führung sich dagegen wehren, auf hochgradige Rationalität setzen und Emotionen am liebsten verdrängen – und damit einer möglichen emotionalen Blockade erst recht Vorschub leisten.

 

Mit Selbstbeobachtung aus der inneren Krise

Um dieser Blockade zu entgehen, ist es ratsam, sich selbst aufmerksam zu beobachten und in sich hineinzuhören:

  • Welche Gefühle löst die aktuelle Situation in mir aus?

    Keine Sorge: Angst, Überraschung, Abneigung und Ohnmacht sind ebenso nachvollziehbar wie die oft damit verbundenen Scham- oder Schuldgefühle. Doch auch, wenn niemandem zu verübeln ist, diese Emotionen verdrängen zu wollen, so behalten sie jedem Versuch zum Trotz ihre Wirkung. Der günstigste Weg, mit ihnen umzugehen, ist sie wahrzunehmen und zu akzeptieren – im tröstlichen Bewusstsein, damit keineswegs allein zu sein.

  • Welche Werte prägen meine Gefühle und damit mein Verhalten?

    Im Beruf leistungsfähig, erfolgreich und selbstbestimmt zu sein sowie dafür Anerkennung zu verdienen, prägt das Wertebewusstsein der meisten Menschen. Doch so nützlich diese Werte in „normalen“ Zeiten sind, so schwierig kann es mit ihnen werden, wenn uns außergewöhnliche Umstände radikal infrage stellen. Nicht selten kommt es dann zu einem verbissenen Kampf mit dem Ziel, die Werte trotz widriger Umstände unbedingt zu realisieren, der zu hochgradiger Erschöpfung führen kann. In solchen Situationen tun Sie gut daran, die Eignung Ihrer Werte für Grenzsituationen zu hinterfragen und sich Abweichungen davon zu erlauben. Flexibilität, kurzfristige Orientierung, Improvisation oder andere können situativ nützlicher sein als stabilitätsorientierte Werte und die Sehnsucht nach der immer selteneren Sicherheit langfristiger Strategien.

  • Was unterstützt mein Ziel, Klarheit und Sicherheit in unsicheren Zeiten zu vermitteln?

    Wenn Sie einerseits Ihre Gefühle akzeptieren und andererseits Ihre Werte situativ justieren, entgehen Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit der Falle, Ihre Steuerungsfähigkeit durch negative Emotionen zu verlieren. Stattdessen kommen Sie in Ihre Wirksamkeit und Kraft. Ist dieser Punkt erreicht, gelingt es Ihnen ebenso wieder, Ihr Verhalten daran auszurichten, ob es zieldienlich für den Umgang mit der Krise ist.

  • Gehen Sie mit den obigen Prinzipien auf Ihre Mitarbeiter zu.

    Antizipieren, erfragen und würdigen Sie die Gefühle der Menschen in Ihrem Verantwortungsbereich. Öffnen Sie sich und zeigen Sie, wie es Ihnen geht und dass es auch für Sie kein Patentrezept gibt. Motivieren Sie dazu, gemeinsam nach Lösungen und Auswegen aus der meist nur scheinbar aussichtslosen Lage zu suchen. Dadurch dass Sie Empathie mit anderen, aber auch mit sich selbst zeigen, docken Sie emotional an Ihre Mitarbeiter an und umgekehrt. Auf diesem Weg entstehen emotionale Sicherheit und Vertrauen, folglich ein gemeinsamer Spirit, der zusammen und optimistisch gegen die Krise antreten lässt.   

Der Kraft der Gefühle vertrauen

Dass Gefühle im Business nichts oder wenig zu suchen haben, weil es nur um Fakten, Kalkül und Zupacken geht, ist ein Irrtum. Das genaue Gegenteil ist wahr. Aus Psychologie und Neurowissenschaft wissen wir heute sicher, dass unsere Gefühle der tiefe Antrieb unseres Tuns und Verhaltens sind, die den Verstand ergänzen. Wie sehr dies stimmt, erleben wir dann, wenn wir zuvor intuitiv getroffene Entscheidungen im Nachgang rational rechtfertigen. Wenn Sie Ihre Gefühle also akzeptieren, indem Sie einfühlsam mit sich umgehen und auf andere zugehen, gelingt Ihnen der hoch emotionale Prozess, Sicherheit in unsicheren Zeiten sowie Wirksamkeit und Handlungsfähigkeit zu vermitteln. Ganz egal, wie die Umstände auch sein mögen.  

       

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Der Autor

Dr. Dieter Lederer ist Veränderungsexperte, Unternehmer, Investor und Musiker mit profunder Erfahrung aus mehr als 300 industriellen Change-Programmen. Sein tiefes Wissen über Unternehmenstransformation vermittelt er zudem als Vortragsredner und Executive-Coach. Zu seinen Kunden zählen namhafte Konzerne, ambitionierte Mittelständler und preisgekrönte Start-ups. Dieter Lederer lehrt Leadership an der Hochschule, ist Autor bei führenden Buchverlagen und publiziert regelmäßig in namhaften Wirtschafts- und Industrie-Medien.

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