Die Marktwirtschaft im globalen Praxistest: Zwischen Wettbewerb, Wert und Werten
von Professor Dr. Rainer Völker
Marktwirtschaften mit Unternehmen in Privateigentum haben sich weltweit als Erfolgsmodell für wirtschaftlichen Wohlstand und effiziente Güterversorgung etabliert.
Eigeninteresse von Konsumenten auf der einen Seite und von Unternehmen, die Gewinn und Shareholder-Value optimieren wollen, auf der anderen Seite gelten seit Adam Smith als zentrale Triebfedern der Ökonomie.
Ein rein marktwirtschaftlich organisiertes System würde in Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Ökologie jedoch versagen.
Soziale Marktwirtschaft als Erfolgsmodell
Gerade um eine Balance zwischen Wirtschaftswachstum und Einkommensgerechtigkeit zu ermöglichen, wurde in Deutschland zur Zeit des „Wirtschaftswunders“ die soziale Marktwirtschaft etabliert. Im Zeichen verschiedenster Umweltprobleme wurden darüber hinaus in den meisten Staaten mit marktwirtschaftlichen Ökonomien zahlreiche (Umwelt-)Schutzbestimmungen, Schadstoff-Börsen und auch Klimaziele definiert. Auch hier werden also staatliche Rahmenbedingungen benötigt, da in einer reinen Laissez-Faire-Marktwirtschaft die negativen externen Umwelteffekte, die bei der Erstellung von Gütern und Leistungen anfallen, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören würden. Das jeweilige demokratisch-liberale Ordnungssystem mit seinen Regeln und Gesetzen ist dabei zumeist das Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse, bei denen Parteien und Verbände versuchen, die Interessen ihrer Zielgruppen durchzusetzen.
Fehlende weltweit geltende Standards
In einer global vernetzten Wirtschaft sind aber nicht nur nationale Zielgruppen zu betrachten. Über globale Wertschöpfungsketten sind Unternehmen und Konsumenten sehr eng mit der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Situation in anderen Ländern verbunden. Hinzu kommt, dass in vielen anderen Staaten die Regularien oft weniger streng sind als etwa in Europa. Eklatante Menschenrechtsverletzungen sowie Ausbeutung finden sich in vielen Ländern und bei den dortigen Zulieferunternehmen. Häufig ergeht an Unternehmen – weniger an Konsumenten – deshalb der Vorwurf, letztlich zu wenig für Ökologie oder soziale Sicherheit bzw. gegen Ausbeutungsverhältnisse in anderen Ländern zu tun. Aus Sicht vieler sind die dafür vom Staat gesetzten ökologischen und sozialen Regeln nicht ausreichend.
Vorreiter-Unternehmen als Maßstab?
Was kann getan werden? In der Praxis findet man viele Unternehmen, die sich an ihren Auslandsstandorten durch Lieferantenauswahl und entsprechende Vereinbarungen über die gesetzlichen Anforderungen dieser Länder hinaus für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz einsetzen. Neben der Verfolgung von ökonomischen Werten treten Sie global für ethische Werte ein. Allerdings gibt es Hürden und Grenzen des Engagements. In einem marktwirtschaftlichen System birgt ein Engagement über das geforderte Mindestmaß hinaus für Unternehmen ein inhärentes Dilemma: Unternehmen, die im harten wirtschaftlichen Wettbewerb stehen, können nicht ohne weiteres „die Extrameile“ gehen. Insofern können „Vorreiter-Unternehmen“ beim besten Willen nicht als generelles Vorbild dienen, doch zugleich ist ein wirtschaftliches „Weiter-so“ über kurz oder lang schwer möglich.
Ziel: Ausgleich unterschiedlicher Interessen
Es gilt nicht nur auf nationaler Ebene einen Ausgleich zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit durch wirtschaftlich sinnvoll anwendbare Regelungen zu finden. Die globale Vernetzung der Ökonomie und die hieraus resultierenden Interdependenzen müssen stärker mitgedacht und mitberücksichtigt werden. Je nach Sichtweise werden die Interessen der Menschen entweder hierzulande, in Europa oder eben global unterschiedlich starkes Gewicht erhalten und man wird dementsprechend zu unterschiedlichen Vorschlägen gelangen.
Hohe Anforderungen an Unternehmen und Politik
Offensichtlich befinden sich Unternehmen und vor allem die politischen Instanzen, die Rahmenbedingungen für ein marktwirtschaftliches System schaffen, in Dilemma-Situationen. Unternehmen müssen angemessene Renditen erwirtschaften, um existieren zu können und um Kapital von Investoren zu erhalten. Gleichzeitig wird – aus nachvollziehbaren Gründen – erwartet, dass sie sich im Zweifel national und vor allem international über die geltenden Regelungen hinaus sozial und ökologisch engagieren. Ebenso soll die Politik, welche die Rahmenbedingungen setzen muss, in Sachen Klimaschutz, Vorschriften für Lieferketten etc. voranschreiten. Parallel wird erwartet, dass Wirtschaftsleistung, Beschäftigung und Investitionskraft nicht „zu stark“ darunter leiden.
Herausforderung: Internationale Vorgaben z.B. für Klimaschutz
Dilemmata gibt es zuhauf: Aktuell geht es zum Beispiel um Regelungen für den Klimaschutz. Die heimische CO2-Produktion soll reduziert werden. Dadurch ausgelöste Preissteigerungen führen zu Wettbewerbsnachteilen und möglicherweise zu Deindustrialisierung. Wohlstandsverlusten stehen positive Einflüsse auf das Klima gegenüber. Aber wie groß sind diese und werden die eingesparten Mengen von Gas und Öl nicht doch von anderen weltweiten Nachfragern und Trittbrettfahrern, die diese Situation für sich zu nutzen wissen, verbraucht? Besteht bei einem zu starken staatlichen Dirigismus und entsprechend hohen Preisen nicht die Gefahr, dass alternative Technologien zur Rettung des Klimas nicht genutzt werden können? Wie sieht die richtige Balance zwischen staatlichen Eingriffen und freiem Unternehmertum aus? Die Lösung dieser und ähnlicher Probleme gestaltet sich in einer vernetzten Welt recht schwierig.
Fazit
Mit rein nationalen Maßnahmen jedenfalls lassen sich die aktuellen Herausforderungen wie Klimaschutz oder die Verbesserung der Lebensbedingungen weltweit kaum meistern. Es braucht international koordinierte Schritte, die neben den globalen Zielen auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten vor Ort nicht aus den Augen verlieren.
Das Buch
zeigt eine Vielfalt von Themen und Perspektiven zu globaler Verantwortung von Wirtschaft und Unternehmen und gibt verschiedenen relevanten Akteuren Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen.
Thürbach / Völker
Wert und Werte in Marktwirtschaft und Unternehmen
Die Autoren
Professor Dr. Kai Thürbach lehrt Unternehmensführung und Entrepreneurship an der TH Köln.
Professor Dr. Rainer Völker lehrt BWL, insbesondere Management, an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen am Rhein.