Juristisch argumentieren: Was eine gute juristische Begründung ausmacht

"Eine gute juristische Begründung beeindruckt, weil sie überzeugt."

Dies gilt es bereits an der Universität zu erlernen und anzuwenden. Das in vierter Auflage erschienene Werk „Juristische Methodenlehre“ vertieft u.a. die Entscheidungen zur Corona-Pandemie, die Prüfung europäischer Grundrechte durch den ersten Senat des BVerfG sowie die Ausführungen zum Verhältnis von Methodenlehre und Gerechtigkeit.

Im Interview gibt der Autor Prof. Dr. M. J. Möllers erste wichtige Einblicke rund um die juristische Argumentation.

 

Juristische Entscheidungen müssen stets gut begründet werden. Bereits an der Universität, sei es bei Haus- und Seminararbeiten sowie in Klausuren, ist dies ein wichtiges Thema. Doch wie lässt sich das Begründen juristischer Entscheidungen und juristisch Argumentieren erlernen?

Prof. Dr. Thomas M. J. Möllers: Juristische Entscheidungen werden akzeptiert, wenn sie gut begründet sind. Die juristische Methodenlehre wendet sich an Juristen, die auf ein überdurchschnittliches Examen hinarbeiten. Streitstände darf man nicht nur blind auswendig lernen. Viel spannender ist es, unterschiedliche Ansichten selbst im intellektuellen Schlagabtausch zu entwickeln. Das juristische Streiten lässt sich mit anderen Studenten daher zum Beispiel in einer privaten Arbeitsgemeinschaft üben. Juristisch argumentieren kann aber auch jeder im „Streit mit sich selbst“ üben, indem man versucht, Argumente für unterschiedliche Thesen zu finden und zu bewerten. Dazu kann man dann die klassischen Argumentationsfiguren von Savigny, aber auch zahlreiche interessen- und folgenorientierte Überlegungen heranziehen. 

 

In der Regel gibt es keine einzig korrekte Antwort auf Rechtsfragen. Es gibt jedoch falsche Entscheidungen. Mit welchen juristischen Methoden lassen sich diese widerlegen?

Prof. Dr. Möllers: In diesem Bereich ist nach wie vor sehr vieles im Detail nicht geklärt. Man ist sich nur über wenige Regeln einig, die ein Auslegungsergebnis falsifizieren können und somit einen Rahmen für mögliche richtige Lösungen abstecken. So darf ein mögliches Auslegungsergebnis dem höherrangigen Recht wie dem Grundgesetz oder europäischen Primärrecht nicht widersprechen. Man spricht von verfassungskonformer bzw. primärrechtskonformer Auslegung. Beide Figuren begründen argumentative und zwingende Vorrangregeln. Methodisch unzulässig ist dann etwa das Überschreiten der Wortlautgrenze bei Straftatbeständen zulasten des Täters. Unzulässig ist es schließlich auch, wenn der Richter die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschreitet und sich als Ersatzgesetzgeber aufspielt, indem er positive Sozialgestaltung betreibt. Aber wo genau diese Grenzen liegen, ist bis heute einer der dunkelsten Bereiche der juristischen Methodenlehre.

 

Können Sie uns Beispiele aus Klausuren von sowohl gut begründeten als auch schlecht begründeten juristischen Entscheidungen nennen?

Prof. Dr. Möllers: Eine gute juristische Begründung beeindruckt, weil sie überzeugt. Dazu werden verschiedene Ansichten als Arbeitsthesen aufgezeigt. Dann beginnt die juristische Argumentation, indem der Student die Argumente entwickelt, gegenübergestellt und abwägt. Der Weg ist das Ziel.

 

Wie meinen Sie das?

Prof. Dr. Möllers: Die wichtigsten Argumentationsfiguren sollte man beherrschen, um zweistellige Ergebnisse zu erzielen. In diesem Zusammenhang ist es auch besonders wichtig, auf den konkreten Sachverhalt einzugehen und durch das „Hin- und Herwandern des Blickes“ zwischen tatsächlicher Ebene und Gesetz das Ergebnis im Einzelfall an die Norm anzuknüpfen. Viel zu oft wird ein Ergebnis aber schlecht oder überhaupt nicht begründet. Oft fehlt hier der hinreichende Begründungsgrad, damit die Lösung plausibel und nachvollziehbar wird.

 

Wo sollten Studentinnen und Studenten besonders vorsichtig sein?

Prof. Dr. Möllers: Vorsichtig sollten Studenten sein, wenn sie ausschließlich behaupten, ein bestimmtes Ergebnis wäre unbillig oder sei verfassungswidrig. Dabei handelt es sich um bloße Leerformeln bzw. Allgemeinplätze. Und wer eine Analogie nur behauptet, aber nicht begründen kann, verliert wichtige Punkte. Auch wird erfahrungsgemäß oft zu vorschnell ein bestimmtes Ergebnis aufgrund des Sinns und Zwecks einer Norm angenommen. Das Telos ist aber zunächst nur eine These, die ihrerseits begründet werden muss.

 

Eine abschließende Frage: Gibt es den einen Tipp, der für eine rational gut begründete Entscheidung immer hilfreich sein kann?

Prof. Dr. Möllers: Das ist nicht nur einer, sondern gleich mehrere Tipps, die auch in der mündlichen Prüfung des Staatsexamens hilfreich sind: Nicht zu schnell, das (vermeintlich) richtige Ergebnis verkünden, sondern vielmehr „laut“ überlegen, ob die Fragestellung zu unterschiedlichen Ansichten und damit einem Streitstand führen kann. Der Prüfer kann so die Lösung Schritt für Schritt nachvollziehen. Oft muss man über das Gesetz hinausdenken, weil dieses unklar ist. Die juristische Methodenlehre gibt ein Prüfungsschema, um sicherzustellen, dass man die wichtigsten juristischen Argumentationsfiguren nicht übersieht.

 

Wir danken Ihnen für das Interview.

 

Juristisch argumentieren lernen

Dieses Lehrbuch ermöglicht Juristinnen und Juristen, die Lösung von Rechtsproblemen systematisch zu entwickeln und eine überzeugende juristische Argumentation zu präsentieren. Das Buch behandelt Themen wie Rechtsquellen, Interpretationsmethoden, Verfassung und Europarecht, Rechtsfortbildung und Sachverhaltshermeneutik in einem fächerübergreifenden Kontext. Die Neuauflage vertieft einige Bereiche, wie verfassungsrechtliche Verfahrensgrundsätze und aktuelle Gerichtsentscheidungen. Das Buch richtet sich an Studierende, Referendare, Juristen und Interessierte an den Grundlagen unserer Rechtsordnung.

 

Möllers

Juristische Methodenlehre

Juristische Methodenlehre

vergriffen, kein Nachdruck

55,00 €

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Der Autor

Prof. Dr. Thomas M. J. Möllers ist Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Augsburg.

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