Interview zum Geschäftsgeheimnisschutzgesetz
„Unternehmen müssen jetzt eine Geheimnisschutz-Inventur durchführen“
Die für Geschäftsgeheimisse geltenden Regeln sind auf Grundlage der EU-Richtlinie 2016/943 komplett neu geschrieben und insgesamt in ein eigenständiges Stammgesetz, dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), aufgenommen worden. Im Interview fasst Dr. Roland Reinfeld, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, die wichtigsten Neuerungen zusammen – und erklärt, was Unternehmen jetzt unbedingt tun müssen, um rechtssicher aufgestellt zu sein.
Welche Tragweite hat das neue GeschGehG?
Dr. Roland Reinfeld: Durch das GeschGehG erhalten sowohl der gewerbliche Rechtsschutz als auch das Arbeitsrecht einen neuen Eckpfeiler. Der rechtliche Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist jetzt eigenständig normiert. Die bisherigen Regelungen waren unzureichend und rein strafrechtlicher Natur. Die §§ 17 ff. UWG mit ihren Kerntatbeständen des Geheimnisverrats, der Betriebsspionage und der Geheimnishehlerei führten trotz ihrer hohen praktischen Bedeutung eher ein juristisches Schattendasein.
Wo sind die rechtlichen Änderungen am größten?
Dr. Roland Reinfeld: Zivilrechtlich und zivilprozessual gelten zum Teil völlig neue Regelungen, mit denen sich die Zivilgerichte – hier sind ausschließlich die Landgerichte zuständig – und vor allem auch die Arbeitsgerichte auseinandersetzen müssen. Für das Strafrecht halten sich die inhaltlichen Neuerungen tendenziell noch in Grenzen, aber auch dort sind wesentliche neue Begrifflichkeiten zu beachten.
Welche Unternehmen sind besonders betroffen?
Dr. Roland Reinfeld: Das GeschGehG hat ganz erhebliche Bedeutung für alle privatwirtschaftlich geführten Betriebe und Unternehmen jedweder Rechtsform und Größenordnung. Naturgemäß sind innovationsstarke Unternehmen und Branchen mit hoher Mitarbeiterfluktuation in besonderer Weise betroffen. Beim Geheimnisschutz handelt es sich mit Inkrafttreten des GeschGehG mehr denn je um eine wichtige Compliance-Aufgabe. Die Gefahr eines Geheimnisabflusses besteht vor allem durch eigene Mitarbeiter, so dass auch ein starker arbeitsrechtlicher Schwerpunkt besteht.
Natürlich ruft ein neues Gesetz auch immer Kritiker auf den Plan. Einige bemängelten bereits den unpräzisen Begriff der „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“. Was hat es damit auf sich?
Dr. Roland Reinfeld: Ob Geheimnisschutz besteht oder nicht, hängt jetzt entscheidend davon ab, ob der Geheimnisinhaber derartige Maßnahmen ergriffen hat. Sind solche Maßnahmen im Streitfall nicht ausreichend feststellbar, entfällt jeglicher Rechtsschutz nach dem GeschGehG. Dabei haben die angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen auf der Tatbestandsseite rechtsschutzbeschränkenden Charakter, auf der Rechtsfolgenseite aber zugleich rechtsschutzerweiternden Charakter: Hat der Inhaber nämlich angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen, steht ihm das GeschGehG offen mit allen Sanktionsmöglichkeiten im Fall einer Verletzung. Die Frage, wann welche Maßnahmen ausreichen, werden bald die Zivil- und Arbeitsgerichte beantworten.
Wie müssen Unternehmen nun konkret handeln?
Dr. Roland Reinfeld: Unternehmen müssen nach meiner Überzeugung eine Geheimnisschutz-Inventur durchführen und für sich die folgenden Fragen beantworten: Welche Geschäftsgeheimnisse gibt es? Wie ist deren Wertigkeit? Wer hat und erhält Kenntnis hiervon? Wie werden Geheimnisse schon heute faktisch geschützt? Was tun wir bisher auf der vertraglichen Ebene bei Mitarbeitern, Kunden und Dritten? Welche zusätzlichen Geheimhaltungsmaßnahmen müssen wir mit Inkrafttreten des GeschGehG ergreifen, damit im Verletzungsfall der gesetzliche Schutz greift und auch zukünftig nicht verlorengeht? Mit Schlüsselpersonal müssen rechtzeitig nachvertragliche Wettbewerbsverbote vereinbart werden. Die Geheimnisschutz-Inventur sollte oberste Priorität haben.
Welche neuen Ansprüche haben Inhaber von Geschäftsgeheimnissen bei Rechtsverletzungen?
Dr. Roland Reinfeld: Zivilrechtliche Ansprüche wurden bisher aus dem Deliktsrecht, aus § 1004 BGB und dem Lauterkeitsrecht abgeleitet. Das neue Recht stellt dem Geheimnisinhaber einen regelrechten Strauß von Ansprüchen gegen den Rechtsverletzer zur Seite. Diese sind vielen betroffenen Unternehmen und ihren Beratern seit der Enforcement-Richtlinie aus 2004 für die gewerblichen Schutzrechte geläufig und reichen von den klassischen Anspruchszielen wie Unterlassung, Auskunft und Herausgabe bis zum Produktrückruf und der Vernichtung rechtsverletzender Produkte.
§ 5 des neuen Gesetzes stellt klar, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht absolut sein kann und im Einzelfall hinter den Belangen des Allgemeinwohls zurücktreten muss. Was bedeutet das konkret für Whistleblower?
Dr. Roland Reinfeld: Die Bedeutung des neuen Gesetzes für die Behandlung von Missständen im Betrieb – dem Wirkungskreis von Whistleblowern – wird sich erst zeigen müssen. Whistleblowing-Tatbestände waren nach dem Regierungsentwurf zum Gesetz insoweit erfasst, als Geheimnisverletzungen bei bestimmten hehren Motiven des Verletzers sanktionslos bleiben sollten. Durch eine Last-Minute- Änderung des Gesetzeswortlauts soll in solchen Fällen schon von vornherein eine Geheimnisverletzung ausscheiden. Eine in sich geschlossene Systematik fehlt aber weiterhin. Immerhin: Ein wichtiger Erkenntnisfortschritt in diesem Bereich wird sich über die zu erwartende Whistleblowing-Richtlinie der EU und deren Umsetzung ergeben. Den Entwurf hat die Kommission schon im April 2018 vorgelegt.
Kommen wir zum Stichwort „Reverse Engineering“. Das Entschlüsseln von Geschäftsgeheimnissen aus Produkten selbst ist jetzt grundsätzlich zulässig. Wird durch das GeschGehG Produktpiraterie legalisiert?
Dr. Roland Reinfeld: Nein, denn hier muss man unterscheiden. Das neue Gesetz erlaubt zwar grundsätzlich den Rückbau eines Produkts oder eines Gegenstandes. Die Erlangung eines Geheimnisses auf diese Weise kann aber vertraglich beschränkt, mithin auch ausdrücklich ausgeschlossen werden. Reverse Engineering ist damit ein Fall für interessengerechte Vertragsgestaltung. Und Produktpiraterie kann wie bisher sanktioniert werden.
Ihr Fazit zum Schluss: Ist das Gesetz gelungen?
Dr. Roland Reinfeld: Die Frage ist berechtigt, entscheidend ist aber, dass die Praxis mit dem Gesetz umgehen muss.Durch das GeschGehG erhalten Geschäftsgeheimnisse auch auf legislatorischer Ebene endlich die Wertigkeit, die ihnen in den Unternehmen und im gesamten Wirtschaftsleben schon seit vielen Jahrzehnten zukommt. Das ist zu begrüßen, und das erzielte Plus an Rechtsklarheit kann sich auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland nur positiv auswirken. Einer Fehlvorstellung unterlegen sind allerdings diejenigen, die erwartet haben, dass mit dem GeschGehG zugleich das Thema Whistleblowing umfassend „erledigt“ wird.
HINTERGRUND:
Diese Informationen könnten unter das GeschGehG fallen:
Das Geschäftsgeheimnis als Kernbegriff des Gesetzes hat eine Legaldefinition erhalten. Umfasst sein können alle technisch und kaufmännisch geprägten Geheimnisse, die bisher als Betriebsgeheimnisse, Geschäftsgeheimnisse oder Unternehmensgeheimnisse firmierten. Es kann also um schutzrechtsfähige Informationen gehen, bei denen bewusst von der Erwirkung eines gewerblichen Schutzrechts abgesehen wird – etwa eine betriebsgeheime Erfindung –, um sonstige technische Informationen, denen aber die Schutzrechtsfähigkeit fehlt, um kaufmännisch geprägtes Wissen – Standardbeispiele sind Kundenlisten, aber auch Personal(abbau)planungen im Unternehmen – und schließlich auch um sogenannte illegale Geheimnisse. Damit ist der Bereich des Whistleblowing tangiert. Nach dem endgültigen Gesetzestext werden aber auch in Zukunft nur solche Informationen geschützt, bei denen ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.