Patentrechtsmodernisierung – eine Daueraufgabe

Welche Entwicklungen prägen das Patentrecht? Ein Gastbeitrag von C.H.BECK-Autor Dr. Klaus Bacher (siehe Foto), Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, X. Zi­vil­se­nat.

 

Der aktuelle Stand

Das zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom 10. August 2021 hat drei Neuerungen mit sich gebracht, die die Praxis noch einige Zeit beschäftigen werden.

Zwei dieser Vorschriften sind schon seit 18. August 2021 in Kraft, die dritte seit 1. Mai 2022. Alle drei bilden Schwerpunkte der Aktualisierung in der neuen Auflage des Benkard.

 

Einwand der Unverhältnismäßigkeit

Die neue Fassung von § 139 Abs. 1 PatG sieht erstmals ausdrücklich vor, dass eine Verletzung des Patents keinen Unterlassungsanspruch begründet, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen Härte führen würde.

Laut den Gesetzesmaterialien soll damit im Wesentlichen die bisherige, insbesondere in der Entscheidung „Wärmetauscher“ (BGH, Urteil vom 10. Mai 2016 – X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031) zum Ausdruck gekommene Rechtsprechung kodifiziert werden.

Interessen Dritter haben in dieser Entscheidung allerdings keine erkennbare Rolle gespielt. Dementsprechend hat sich um die neue Vorschrift vor allem im Zusammenhang mit Patenten aus dem Medizinbereich ein intensiver Streit entwickelt, der zu gegebener Zeit wohl auch den BGH beschäftigen wird.

Der neue Benkard zeigt den aktuellen Stand der Diskussion auf. Klaus Grabinski und Peter Tochtermann als Kommentatoren bieten Gewähr dafür, dass hierbei auch internationale Entwicklungen Berücksichtigung finden.

 

Geheimnisschutz

Nach der neuen Regelung in § 145a PatG sind die Vorschriften über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen im gerichtlichen Verfahren (§§ 16 bis 20 GeschGehG) in Patentstreitsachen entsprechend anzuwenden.

Der Anwendungsbereich dieser Vorschriften hat sich dadurch gleichsam über Nacht beträchtlich erweitert. Wie weit er nunmehr reicht, wie die Vorschriften im Patentverletzungsprozess anzuwenden sind und welche Folgen sich daraus ergeben, ist Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen in einer Vielzahl von Verfahren.

Peter Tochtermann stellt alle wichtigen Fragen zusammen und zeigt mögliche Lösungsansätze auf.

 

Qualifizierter Hinweis im Nichtigkeitsverfahren

Eine auf den ersten Blick eher unscheinbare Ergänzung hat § 83 Abs. 1 PatG erfahren. Den darin vorgeschriebenen Hinweis auf Gesichtspunkte, die für die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden, „soll“ das Patentgericht nunmehr – d. h. seit 1. Mai 2022 – innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erteilen.

In welchem Umfang es gelingt, diese Vorgabe einzuhalten, und welche Folgen eine frühere Erteilung des Hinweises auf dessen Inhalt hat, ist noch nicht abzusehen.

Julia Nobbe zeigt im neuen Benkard auf, unter welchen Voraussetzungen die Einhaltung der Frist besonders wünschenswert ist – und unter welchen Voraussetzungen die Nichteinhaltung sachgerecht sein kann.

 

Weitere Modernisierung

Das Zweite Gesetz zur Modernisierung des Patentrechts wird aller Voraussicht nach nicht die letzte Regelung mit dieser Zielsetzung bleiben.

Der Gesetzgeber selbst hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Regelung in § 81 Abs. 2 PatG einer Überprüfung zu unterziehen.

Die im geltenden Recht normierte Unzulässigkeit einer Nichtigkeitsklage, solange ein Einspruch noch statthaft oder anhängig ist, kann vor allem bei europäischen Patenten zu erheblichen Wartefristen führen.

Eine kürzlich ergangene Entscheidung des BGH (Urteil vom 6. Dezember 2022 – X ZR 47/22 – Aminopyridin) könnte dazu beitragen, allzu große Verzögerungen zu vermeiden. Ob der Gesetzgeber dennoch Reformbedarf sieht, bleibt abzuwarten.

Auf absehbare Zeit aktuell bleiben wird wohl die Frage, wie Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren inhaltlich verzahnt und zeitlich aufeinander abgestimmt werden können.

Sobald das Einheitliche Patentgericht seine Tätigkeit aufgenommen hat, wird sich die Diskussion über ein dem deutschen Verfahrensrecht angeblich immanentes „injunction gap“ möglicherweise sogar noch intensivieren. Es bleibt also spannend.

 

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