Das Insolvenzrecht im Pandemiejahr 2020: Eine Herausforderung für alle Akteure

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt, Herausgeber Schmidt, InsO.

 

Nur wenige Rechtsgebiete konfrontieren die Rechts- und Unternehmenspraxis mit so vielen und so folgenreichen Veränderungen wie das Recht der Sanierung und Insolvenz von Unternehmen und privaten Schuldnern.

 

Die Rechtsanwendung, aber noch mehr die operative und die rechtlich beratende Praxis muss mit diesem Tempo Schritt halten, bedarf also zuverlässiger Informationen über den Stand von heute und die Konzepte für morgen. Schon der Gesetzestext der Insolvenzordnung verrät die unablässige Bewegung der für Krise, Sanierung und Insolvenz geltenden Regeln. 

 

Zwei historische Einschnitte aus dem Jahr 2017 sind in die Phase der Bewährung eingetreten: das vieldiskutierte Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und dem Anfechtungsgesetz (BGBl. I S. 654) und das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (BGBl. I S. 866).

 

Auch geändertes Recht steht nicht still und sorgt für ständigen Informationsbedarf. Die bereits mit einem Bundestagsbeschluss von 2011 angekündigte Evaluation des ESUG (BT-Drucks. 19/4880) wirft neues Licht auf die Verzahnung von Insolvenzplan und Umwandlungsrecht, auf die Professionalisierung der Insolvenzgerichte durch Zuständigkeitskonzentration, auf steuerrechtliche Kohärenzprobleme zwischen Unternehmenssanierung und Insolvenz und auf die Vorbereitung einer Sanierung im Eröffnungsverfahren (§§ 270 a/b InsO).

 

Neue „Restrukturierungskultur“ für Europa


Seit aus dem „Novemberentwurf“ von 2016 die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) erwachsen ist, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit höchster Priorität an der Implementierung eines vorinsolvenzrechtlichen Restrukturierungsrahmens gearbeitet. Und siehe da: Der deutsche Gesetzgeber liefert, ohne den Ablauf der Umsetzungsfrist abzuwarten.

 

Aber nicht nur das: die bereits heute geführte Diskussion über eine neue „Restrukturierungskultur“ für Europa und Deutschland kann an den neuen Konzepten und ihrer Vorwirkung schon jetzt nicht vorbeigehen.

 

Aus der Vergangenheit haben wir gelernt, wie das seit 1999 geltende, seither mehrfach verbesserte Recht des Insolvenzplans (§§ 217 ff. InsO) auf das außergerichtliche („gesellschaftsrechtliche“) Sanierungsgeschehen abgefärbt hat. Vom richtliniengetriebenen Restrukturierungsrahmen wird Ähnliches zu erwarten sein.

 

Sicher ist überdies, dass die mit dem Restrukturierungsrahmen verbundenen Chancen für kriselnde Unternehmen ein gut vorbereitetes Sanierungskonzept voraussetzen, womit das Ineinandergreifen der gesellschaftsrechtsbasierten und der insolvenz(präventions-)basierten Restrukturierung von Unternehmen immer bedeutsamer wird. 

 

Die rechtsbasierte Ausbalancierung von Restrukturierungstechniken und unerlässlichem Gläubigerschutz gehört zu den in Sanierung und Insolvenz unerlässlichen Kunstregeln der Praxis. Diese Herausforderung verlangt zuverlässige Information. 

 

COVInsAG: Ungeklärte Fragen

 

Hoffentlich als Kurzläufer mag sich das auf die COVID-19-Pandemie reagierende COVInsAG vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 569) erweisen, das pandemiebetroffenen Unternehmen eine Atempause verschafft – allerdings die Frage offen lässt, ob eine von der Insolvenzantragspflicht freigestellte Unternehmensleitung noch immer dem rechtlichen Risiko einer Verantwortlichkeit wegen vorvertraglichen Verschuldens oder gar wegen Eingehungsbetrugs ausgesetzt sehen kann.

 

Im September wurde die Aussetzung der Antragspflicht bis zum Jahresende beschlossen, wenn auch unter Ausschluss zahlungsunfähiger Unternehmen (Entwurf in BT-Drucks. 19/22178).

 

Mag diese Maßnahmegesetzgebung des Pandemiejahrs 2020 auch eine passagere Erscheinung bleiben, unterstreicht sie doch neben den bereits geschilderten nachhaltigen Veränderungen des ganzen Rechtsgebiets, wie sehr Akteure und Berater auf eine die aktuellen Entwicklungen aufnehmende Kommentierung des Rechtsstoffs angewiesen sind.

 

Autorenprofil von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt

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