Behindertenrecht: Schwerbehinderte und der Betriebsrat

Von Prof. Dr. Wolfgang Däubler

 

Für traditionelle Juristen ist die Schwerbehindertenvertretung ein eher am Rand liegendes Phänomen. Schon der Betriebsrat passt irgendwie nicht in das vom BGB geprägte Weltbild – aber die Schwerbehindertenvertretung? Das scheint so etwas wie der Heimbeirat im Seniorenwohnheim zu sein. Wenn man sehr viel Zeit hat, wird man sich darum kümmern.

 

Doch die reale Situation ist eine andere. In der Gesellschaft gibt es immer mehr Leute, die mit Nachdruck Gleichbehandlung all jener Menschen fordern, die eine schlechtere Ausgangssituation als andere haben. Im Vordergrund steht die Gleichstellung von Männern und Frauen, daneben geht es um Menschen mit Migrationshintergrund und eben um Schwerbehinderte. Im Rahmen des Machbaren ist das Arbeitsleben so einzurichten, dass die Behinderung möglichst wenig Auswirkungen hat. Dies gilt insbesondere für die Gestaltung von Arbeitsplätzen. Und außerdem haben Schwerbehinderte einen verstärkten Kündigungsschutz

 

Zwischen guten Grundsätzen und Realität klafft fast immer ein Widerspruch. Um ihn zu verringern, vielleicht sogar aufzulösen, bedarf es einer Institution, die sich speziell um die benachteiligte Gruppe kümmert. Dies ist einmal der Betriebsrat, der auch insoweit nach dem Rechten sehen muss. Allerdings hat er eine Vielzahl anderer Aufgaben – von der Arbeitszeit bis zu Lohnfragen, von Einstellungen über Versetzungen bis hin zu Kündigungen. Bei allem Engagement, das Betriebsräte normalerweise auszeichnet - die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass die speziellen Belange der Schwerbehinderten zu wenig Beachtung finden. Um dies zu verhindern, wählen diese eine Schwerbehindertenvertretung, die speziell ihre Interessen vertritt. Sie ist nach dem Einzelkämpferprinzip aufgebaut, d. h. sie besteht aus einer Person und einem Stellvertreter, der im Verhinderungsfalle einspringt oder auch bestimmte Aufgaben übertragen bekommen kann.

 

Wer immer auf sich gestellt ist, entwickelt häufig gute Fähigkeiten, um in Diskussionen und Verhandlungen seiner Position Gehör zu verschaffen. Ich war selbst einmal Referent in einem Seminar mit 50 Schwerbehindertenvertretern; eine solche Menge an Nachfragen und Beiträgen habe ich sonst nie erlebt. Aber das Einzelkämpferdasein ist auch anspruchsvoll und ermüdend. Deshalb dürfen sich Schwerbehindertenvertreter genauso wie Betriebsratsmitglieder schulen lassen, und zwar nicht nur über Vorschriften, die Schwerbehinderte betreffen. Vielmehr muss der Schwerbehindertenvertreter auch Grundkenntnisse des Betriebsverfassungsrechts haben, weil er an allen Betriebsratssitzungen teilnehmen darf. Und er sollte in wirtschaftlichen Fragen ebenfalls einigermaßen Bescheid wissen, weil er in allen Sitzungen des Wirtschaftsausschusses Anwesenheits- und Rederecht hat.

 

In der Praxis ist allerdings oft eine Eigenschaft gefragt, die man selten in Seminaren lernt: Es darf einem nichts ausmachen, wenn der Arbeitgeber oder auch die Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat seufzen: „Schon wieder der Schwerbehindertenvertreter“. Da man keine Mitbestimmungs-, sondern nur Beratungsrechte hat, bleibt als „Durchsetzungsmittel“ allein das gute Argument. Man darf daher nicht lockerlassen, auch wenn man anderen auf die Nerven fällt. Freundlich, aber bestimmt und gut informiert muss man sein, wenn man zum wiederholten Male darauf hinweist, dass der Arbeitgeber die Schwerbehinderten z. B. beim Sozialplan nicht mit einer symbolischen Summe abspeisen darf.

 

Was ist eigentlich mit Menschen, die eine Behinderung haben, ohne schwerbehindert oder gleichgestellt zu sein? Sie sind vom Arbeitsrechts-Gesetzgeber irgendwie vergessen worden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet allerdings jede Benachteiligung wegen „Behinderung“, was alle, auch die Einfach-Behinderten, einbezieht. Und im Hintergrund steht die EU-Richtlinie, die auch zugunsten dieser Personengruppe „angemessene Vorkehrungen“ vorschreibt. Auch ihr ist insbesondere am einzelnen Arbeitsplatz Rechnung zu tragen.

 

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Dr. Wolfgang Däubler

Professor für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen

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