Juristische Recherche: Quick & Dirty oder professionell belastbar?
Leicht überarbeiteter Auszug aus dem Einführungskapitel von Schäfer/Schimmel, Juristische Recherche – analog und digital
Informationen beschaffen können alle und die Angehörigen der digitalnative-Generation(en) sowieso. Für sie ist die Benutzung der Suchzeile einer Standardsuchmaschine eine Kulturtechnik etwa vom Rang von Lesen und Schreiben: praktisch nicht hintergehbar, erlernt zu einer Zeit im Leben, an die die Erinnerungen unscharf werden, über die Jahre durch ständige Übung perfektioniert, längst ohne hinzusehen mit zwei Daumennägeln auf dem Smartphone-Display.
Erklärungsbedürftig ist also, weshalb für fachlich-berufliche Zwecke diese Fähigkeit noch eine substanzielle Verfeinerung braucht. Warum könnte es sich lohnen, Zeit zu investieren, um sich eine professionelle Technik für die juristische Recherche anzueignen?
Das Modell der Alltagssuche: Quick & Dirty
Das Modell der jedermann geläufigen Alltagssuche könnte man mit „quick & dirty“ beschreiben. Das ist übrigens gar nicht abwertend, denn die täglich 100fache Erfahrung zeigt, dass q&d meistens (!) genügt. Kennzeichnend für q&d ist, dass
- es schnell geht und schnell gehen soll,
- die Suche endet, wenn ein anständiges Ergebnis gefunden ist,
- Sie ziemlich gut sagen können, was nach Ihrem Anspruch ein anständiges Ergebnis ist,
- es meist nicht zwingend das beste Ergebnis sein muss, sondern auch ein zweit- oder drittbestes Ergebnis genügt,
- Vollständigkeit der Ergebnisse überwiegend keine Rolle spielt und
- eine Dokumentation nicht erforderlich ist und daher regelmäßig auch nicht stattfindet.
Man stelle sich als Beispiel vor, Sie wollten für Ihre Arbeitsgruppe fünf Salate und Pizzen bestellen. Die nächste gute Pizzeria in der Nähe des Uni-Instituts kennen Sie aber nicht, weil Sie erst seit vier Wochen studieren. Also fragen Sie die Standardsuchmaschine – und binnen einer Sekunde haben Sie die Auswahl unter drei bis 17 Pizzerien; Sie bekommen die Speisekarten mit Preisen und die fußläufige Entfernung angezeigt, die Auslieferungsaufschläge und die Kundenbewertungen. Vielleicht ist die beste Pizzeria gar nicht dabei oder die mit dem kürzesten Fußweg oder die preisgünstigste – oder sie stehen faktisch unsichtbar auf der dritten Seite mit Suchergebnissen. Aber Ihre Suche endet weit vorher, weil Sie sich – mit welchen Kriterien auch immer – tendenziell für eine der Pizzerien vom Anfang der Liste entscheiden. Als Alltagssuchergebnis ist das ganz in Ordnung; früher oder später testen Sie die Konkurrenz, und eines Tages haben Sie entschieden, welche Ihre Lieblingspizzeria wird. Gegen Ihr Suchverhalten ist wenig einzuwenden, weil es zeitschonend ist und weil Sie die Konsequenzen einer „schlechten“ Entscheidung selbst und allein tragen.
Die Anforderungen an eine professionelle juristische Recherche
Das ist bei einer professionellen juristischen Recherche und Informationssuche anders. Hier spielt nämlich die Belastbarkeit der gesuchten Informationen eine wichtige Rolle. Während auf den ersten Blick die Quellenrecherche für eine Hausarbeit im Studium sehr ähnlich der Suche nach einer Pizzeria in der Nähe zu sein scheint (wenn Sie sich dabei zu wenig Mühe geben, fällt wahrscheinlich die Note schlechter aus, aber es ist eben nur Ihre Note), ändert sich das, wenn die Ansprüche steigen.
Wer für die eigene Doktorarbeit wissenschaftliche Quellen recherchiert und dabei mit dem q&d-Konzept arbeitet, stellt ein halbes Jahr später fest, dass er sich nicht mehr erinnern kann, wie gründlich die Suche eigentlich war. Dann muss man die gleiche Arbeit noch einmal machen.
Wer in einer Arbeitsgruppe arbeitsteilig und dabei rein intuitiv, ohne festgelegte Regeln und ohne Dokumentation vorgeht, wird schnell feststellen, wie schwierig die Arbeitsübergabe an einen Kollegen ist. Und wie wenig man sich auf die Vorarbeit der anderen verlassen kann und verlässt.
Wer als angestellter Jurist oder als selbständiger Rechtsanwalt für einen zahlenden Kunden arbeitet, wird als Experte befragt – und für die Abweichung von Expertenstandards nach unten haftbar gemacht: Ermahnung, Abmahnung, ordentliche Kündigung, Vertrauensverlust, Ausbleiben anderweitiger Mandatierung, Schadensersatzhaftung wegen anwaltlicher Fehlberatung, Ärger mit der Berufshaftpflichtversicherung, schlechte Presse, unerfreuliche Einträge in Bewertungsportalen und so weiter. Zu Recht sagt Ihr Mandant, die Standardsuchmaschine könne er auch selbst bedienen, ohne Ihnen dafür ein Beratungshonorar zu schulden. Und zu Recht erwartet er, dass Sie am Ende einer juristischen Ausbildung besser professionell recherchieren als er. Wenn er den Prozess verliert, will er nicht deshalb verlieren, weil Sie zu unsorgfältig waren, vor Klageeinreichung das halbwegs aktuelle Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu finden und zu lesen, demzufolge sein Anspruch einer sehr kurzen (mittlerweile abgelaufenen) Ausschlussfrist unterliegt, die er unglücklicherweise selbst wirksam vertraglich mit dem jetzigen prozessualen Gegner vereinbart hat.
Daher ist es sinnvoll – um nicht zu sagen: notwendig –, im juristischen Studium die eigene juristische Recherche und das Informationsbeschaffungsverhalten zu professionalisieren. Teils gibt es dafür spezialisierte Kurse, oft setzen aber die Universitäten auf „learning by doing“. Wer sich ein wenig damit befassen will, findet auch Anleitungen in Buchform.
Buch-Tipps für die juristische Recherche
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Schäfer / Schimmel
Juristische Recherche – analog und digital
Juristische Recherche – analog und digital
Informationen beschaffen, bewerten und dokumentieren
Die Autoren
Prof. Dr. Roland Schimmel
ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences.
Dr. Christian Schäfer
Stand: Januar 2025