Jurastudium abbrechen? Wissenswertes und Entscheidungshilfen für (potenzielle) Jura-Aussteiger

Von Prof. Dr. Roland Schimmel

 

Das Jurastudium ist bekannt für seine hohen Anforderungen und den intensiven Lernaufwand. Dennoch entscheiden sich viele Studierende jedes Jahr für diesen Weg, in der Hoffnung, eines Tages als Volljuristin oder Volljurist tätig zu sein. 

Doch die Realität sieht oft anders aus: Ein erheblicher Teil der Studierenden bricht das Studium vorzeitig ab oder scheitert an den Prüfungen. Diese sogenannten „Jura-Aussteiger“ stehen vor der Herausforderung, neue berufliche Perspektiven zu finden.

In diesem Artikel beleuchten wir die Zahlen derer, die Jura abbrechen, mögliche Fragen, die Sie sich bei der Entscheidung stellen können sowie die Möglichkeiten, die sich nach einem Abbruch des Jurastudiums bieten.

 

1. Wie viele brechen Jura ab?

Die Zahlen der juristischen Aussteiger sind recht beeindruckend. Um 400 Volljuristen auszubilden, braucht man 1.000 Studienanfänger. Die anderen 60 % verschwinden irgendwann unterwegs. Teils während des Studiums, teils im ersten Examen; manche treten das Referendariat nicht mehr an, nur noch wenige bestehen das zweite Examen nicht.

Die einen gehen freiwillig, die anderen gezwungenermaßen. Wer die Zwischenprüfung oder die Staatsprüfungen endgültig nicht bestanden hat, muss sich etwas Neues einfallen lassen. Deutlich größer dürfte aber die Zahl derjenigen sein, die mit juristischen Themen nur viel mühsamer als gedacht oder gar nicht zurechtkommen und deshalb in einen benachbarten oder weit entfernten Studien- oder Ausbildungsgang wechseln.

Eine kleine gute Nachricht vorab: Der Arbeitsmarkt ist, demografisch bedingt, über die Jahre und Jahrzehnte deutlich flexibler geworden und wird das auch noch lange bleiben müssen. Jenseits der den Volljuristen kraft Gesetzes vorbehaltenen Berufsfelder gibt es eine rege Nachfrage nach auch-juristisch qualifizierten Berufseinsteigern. Zugleich schwindet das Stigma „abgebrochen“ oder „nicht bestanden“ immer stärker. Ein Wechsel des Studiengangs ist heute so häufig, dass er nur noch selten als Problem angesehen wird; das kann sich der Markt kaum noch leisten. Universitäten und Hochschulen bieten vermehrt juristische Studiengänge an, die nicht mit dem Staatsexamen abschließen. Allenthalben werden an den juristischen Fachbereichen integrierte Bachelor- und Masterstudiengänge etabliert und Auffang-Bachelors diskutiert.

Gleichwohl kostet ein Abbruch immer auch Zeit und Energie. Wir skizzieren daher hier ein paar Überlegungen, die man vor einem freiwilligen Abbruch anstellen könnte, und erörtern ein paar Ideen für den Fall des unfreiwilligen Endes des juristischen Ausbildungswegs.

 

2. Kann man Jura abbrechen und wieder anfangen?

Wer das Studium freiwillig ohne Abschluss beendet, kann am gleichen oder einem anderen Ort neu beginnen, muss sich aber erneut um einen Studienplatz bewerben. Angesichts des flächendeckenden Angebots sollte das gelingen; es kann aber etwa ein zwischenzeitlich strengerer Numerus Clausus verhindernd oder verzögernd wirken. Wichtig wird es sein, vorab mit der alten oder neuen Uni zu klären, ob eine Anrechnung bereits erbrachter Leistungen möglich ist.

 

3. Kann man das Jurastudium pausieren?

Wer zeitweise ins Zweifeln gerät, ob Jura das richtige Studienfach ist, wird vielleicht nur eine Pause brauchen. Über ein oder zwei Semester wird sich eine solche Pause leicht umsetzen lassen, weil die Studienordnungen den Studienverlauf nicht allzu streng reglementieren. Jenseits der Zwischenprüfungen, die meist bis zu einem bestimmten Studiensemester bestanden sein müssen, genießt man traditionell große Freiheit, was sich auch an den zeitlich unterschiedlichen Studienverläufen ablesen lässt. Bis zur Zwangsexmatrikulation – sofern die Universität die vorsieht – vergehen etliche Jahre, vorausgesetzt, man bezahlt weiter die Studiengebühren.

Wer dagegen ein oder viele Urlaubssemester beantragen will, muss gegenüber der Universität das Vorliegen der Gründe hierfür vortragen und nachweisen. Im Krankheitsfall wird das leicht gelingen. Für private Katastrophen wie Todesfälle im Familienkreis, Sinnkrisen, Familiengründungen oder das Bedürfnis nach einer Weltreise sind die Urlaubssemester dagegen nicht gedacht. Wer also auf zunächst unabsehbare Zeit über den eigenen (Studien-)Weg nachdenken will, wird nicht auf diese Option setzen können.

 

4. Will/soll ich Jura abbrechen?

Ein paar Überlegungen für alle, die gerade zögern:

Schwarze Tage und Sinnkrisen gibt es nicht nur im Jurastudium. Wer also übers Abbrechen nachdenkt, sollte sich Gewissheit darüber verschaffen, dass er nicht nur einer Augenblickslaune folgt, über die er wenig später wieder lachen wird. Ohne Vollständigkeitsanspruch kann man sich dabei an folgenden Fragen entlanghangeln:

 

  • Ist es nur so ein Gefühl oder gibt es äußerliche Hinweise: Alle Klausuren in den Sand gesetzt, die meisten Klausuren in den Sand gesetzt, trotz intensiven Lernens, alle Prüfungen nacheinander aufgeschoben? Alles nur mit genau vier Punkten im zweiten Anlauf bestanden, trotz weitaus größeren Ehrgeizes und Lernaufwands?
  • Was sagen Sie – was sagen die anderen über Sie und/oder zu Ihnen?
  • Sind Sie genervt (oder: begeistert) von der Art, wie Juristen Probleme systematisieren, analysieren, in kleine Teile zerlegen und dann schematisieren?
  • Macht Ihnen der Gutachtenstil Schwierigkeiten? Immer neu? Oder kommen Sie damit zurecht, stoßen aber ständig auf innere Widerstände, weil Ihnen das alles zu stumpf (oder: zu hoch) erscheint?
  • Überwiegt die Zahl der Fächer, an denen Sie Spaß haben (oder glauben, in absehbarer Zukunft Spaß und Interesse haben zu können) oder die Zahl derjenigen, zu denen Sie recht eigentlich weder eine Vorlesung hören noch ein Buch lesen wollen?
  • Ist es das falsche Fach oder nur die falsche Uni? Vielleicht brauchen Sie eher einen kleinen, kuscheligen Fachbereich – oder eher einen großen, anonymen. Vielleicht auch nur einen, in dem größerer Wert auf gute Lehre gelegt wird. Hängen Sie möglicherweise an der richtigen Uni mit den falschen Leuten ab?
  • Sind Sie allein unter lauter Durchblickern – oder kämpfen alle um Sie herum mit den gleichen Problemen?
  • Gibt es ein ernsthaftes Fernziel, das Sie nur auf dem mit dem Jurastudium eingeschlagenen Weg erreichen werden?

 

  • Zum wievielten Mal denken Sie gerade über den Ausstieg nach?
  • Ist der Anlass Ihrer Überlegungen eher „Weg von Jura“ oder eher „Hin zu VWL“?
  • Wie kommen Sie zurecht mit den juratypischen Anforderungen: viel Lesen, lange Texte lesen, gedankliche Transferleistungen von bekannten Regeln/Sachverhalten zu neuen Sachverhalten? Abstraktes und Konkretes zusammenbringen, auf die Folgen achten, aber den Gesetzeswortlaut dabei nicht aus dem Blick verlieren?
  • Gelingt es Ihnen, die großen Probleme in kleine und kleinste Teile aufzulösen und die Schemata halbwegs zu verstehen, mit denen Juristen „Fälle“ „lösen“?
  • Können Sie Mitstudenten oder Nichtjuristen Rechtsfragen erklären oder beantworten – oder fehlt Ihnen dazu vollständig der Überblick oder das Selbstvertrauen?
  • Halten Sie es gut aus, wenn Ihre Ergebnisse als „falsch“ bezeichnet werden? Ertragen Sie den Umgangston in juristischen Prüfungen? Ertragen Sie das juristische Prüfungswesen überhaupt?
  • Welche Themen interessieren Sie? Sind die bisher vorgekommen? Werden sie noch vorkommen?
  • Fügen sich die vielen Einzelbaustellen zu einem größeren Ganzen zusammen? Manchmal, oft, nie? Sehen (und: suchen) Sie gemeinsame Prinzipien in unterschiedlichen Materien?
  • Schärft sich Ihr Blick für Gerechtigkeitsfragen – oder verschwimmen die unter lauter technischen Einzelheiten? Warum?
  • Was haben Sie vom Studium erwartet? Und welche Erwartungen haben sich erfüllt oder sind übertroffen worden?

 

Wie immer gilt: Die Entscheidung treffen und verantworten Sie am Ende selbst. Aber nirgends steht geschrieben, dass Sie zuvor nicht eine Reihe vertrauenswürdiger Leute fragen können.

 

5. Jura abbrechen – was dann?

Die Frage nach dem „Was dann?“ wird sich recht unterschiedlich stellen, abhängig von (mindestens) drei Parametern:

  • Ist der Ausstieg ein freiwilliger oder ein unfreiwilliger?
  • Kommt es darauf an, möglichst viel vom erreichten und dokumentierten Wissens- und Könnensstand zu „retten“? Anders gefragt: Wohin geht die Reise?
  • Geschieht der Ausstieg früh oder spät?

Die Fragen überschneiden sich, wenigstens an den Rändern.

Ein freiwilliger Ausstieg ist der unproblematische Fall, zumal wenn er früh im Studium geschieht. Wer nur zum Schnuppern, zur Horizonterweiterung oder zum Parken vor dem eigentlich in Aussicht genommenen Studiengang zwei Semester Jura absolviert hat, wird keine oder wenige anderweitig anerkennbare Pflichtleistungen erbracht haben. Aus Ihren drei Semestern Jura nehmen Sie auch jenseits anrechenbarer Scheine immer etwas mit, mindestens Normkenntnisse auf diesem oder jenem Gebiet, bestenfalls ein ordentliches Stück staatsbürgerlicher Allgemeinbildung.

Im fortgeschrittenen Stadium des Studiums wächst der Bestand an zu „rettenden“ Leistungen. 

Der Wechsel von der Universität an die University (früher: Fachhochschule) hat schon eine gewisse Tradition, weil Studiengänge wie Wirtschaftsrecht seit 30 Jahren etabliert sind und deutliche thematische Überschneidungen zum Jurastudium aufweisen. Hier wird eine Vielzahl von Modulen thematisch so nahe an den jeweiligen Vorlesungen im Jurastudium liegen, dass mit ein wenig Aufwand (wegen der jeweils erforderlichen Einzelfallentscheidung) die Anrechnung bereits erbrachter Leistungen möglich ist. Typischerweise kommt es dabei entscheidend darauf an, wie viele Semesterwochenstunden für den jeweiligen Kurs vorgesehen sind, welche thematische Bandbreite er abdeckt und in welcher Form die Prüfungsleistung erbracht wurde. Die Anrechnungspraxis ist von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich und im Einzelfall zu erfragen; erfahrungsgemäß wird oft die Umrechnung der erzielten Punkte in Noten als unvorteilhaft oder ungerecht empfunden, sodass immer in Erwägung zu ziehen ist, ob man die betreffenden Prüfungen nicht einfach erneut schreibt.

Ebenfalls bereits Tradition hat der Wechsel in Studien- oder Ausbildungsgänge des öffentlichen Diensts und der Rechtspflege. Wegen deren Strukturierung lässt sich hier zwar nicht ohne Weiteres Ausbildungszeit einsparen – aber das juristische Vorwissen führt regelmäßig zu guten Prüfungserfolgen. (Man muss sich indes ein wenig vor dem juristentypischen Hang zur Besserwisserei hüten. Der führt nicht nur zu Reibungen im menschlichen Miteinander mit den Kollegen, sondern steht auch leicht einmal der Einsicht im Weg, dass ein Anwärter im Polizeidienst, der Finanzverwaltung oder ein künftiger Rechtspfleger auf einigen Gebieten lernend weitaus mehr in Tiefe gehen müssen, als das allgemeine Jurastudium das erlaubt.)

Der letzte Fehlschlag im zweiten Examen entwertet – wenigstens auf den ersten Blick – ein weitaus größeres Stück bereits investierter Berufsausbildungszeit. Auf den zweiten Blick ist die Lage nicht ganz so katastrophal: Auf heutigem Stand gibt es einen soliden Berufseinsteigermarkt für Kandidaten, die „nur“ das erste Examen mitbringen, wenn auch unter Inkaufnahme von Einkommenseinbußen im Vergleich zu Volljuristen. Schwierig wird es bei den klassischen Juristenberufen. Da ohne das zweite Examen der Weg etwa zur Rechtsanwaltschaft versperrt ist, muss man sich auf Umwege einstellen. Diese führen typischerweise über einen rechtswissenschaftlichen Studienabschluss im europäischen, nicht selten deutschsprachigen, Ausland und die Zulassung zur dortigen Rechtsanwaltschaft zur Möglichkeit der hiesigen Rechtsanwaltszulassung. Erforderlich ist hierfür aber erneut eine Prüfung nach deutschem Recht. 

Und ein Letztes: Die hier skizzierten Überlegungen erörtern nur ein paar wichtige Gedanken. Sie ersetzen nicht das Gespräch mit Familie, Freunden, Dozenten und Vertrauenspersonen, die Termine bei der Studien- und/oder Berufsberatung und die Einholung rechtsverbindlicher Auskünfte VOR einer womöglich folgenschweren Entscheidung. Zudem gibt es inzwischen auch jenseits der juristischen Repetitorien kommerzielle Beratungsangebote insbesondere für diejenigen, die in einer Pflichtprüfung vorläufig oder endgültig gescheitert sind.

 

Der Autor

Prof. Dr. Roland Schimmel

ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences.

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